Bunt statt bieder
Borken, 19. Januar 2017
Gedenken trifft Vorausdenken: Friedhöfe werden wiederentdeckt - als Orte des Austauschs, der Naturbegegnung und der Entspannung
Erst in die Badewanne, dann in die Kirche und anschließend ein Gang über den Friedhof - natürlich im Sonntagsanzug oder im gestärkten Kleid: Es gab Zeiten, da waren Friedhöfe allerorten Teil des sonn- und feiertäglichen Rituals. Dem Sozialleben der Erwachsenen war das durchaus sehr zuträglich, lediglich die Kinder hätten sicherlich gerne des Öfteren darauf verzichtet, schließlich sollten sie erst in der Kirche und auf dem Gottesacker still und "angemessen ernst" sein. "Mitunter konnten die Friedhofsrundgänge aber auch recht kurzweilig sein, denn an den Gräbern wurde aktives Gedenken geübt und manche Anekdote von verstorbenen Verwandten, Freunden und Nachbarn erzählt", erinnert sich Elizabeth Anna Wirth, die stellvertretende Vorsitzende des Vereins zur Förderung der deutschen Friedhofskultur e.V. (VFFK), an ihre eigene Kindheit.
Insgesamt dürfte es Kindern auf den heutigen Friedhöfen wesentlich besser gefallen: T-Shirts und fröhliche Gesichter sind dort ebenso erlaubt wie Fangen spielen zwischen dem altehrwürdigen Baumbestand und abwechslungsreich bepflanzten Gräbern - zumindest, wenn es nach dem VFFK geht. Kinderspielplätze neben Föten- und Kindergrabfeldern, damit auch Geschwisterkinder regelmäßig und gerne mit auf den Friedhof kommen, Blumenwiesen, die den ökologisch ohnehin so wertvollen Friedhof um eine weitere Biotopform bereichern, individuell gestaltbare Gräber für Menschen aller Religionen - die Mitglieder des Vereins sind in vielerlei Hinsicht Visionäre. Aus gutem Grund: "Der Friedhof hatte zwischenzeitlich leider einiges von seiner Funktion als sozialer Treffpunkt für die Lebenden verloren, sowohl die Kommunen als auch die Kirchen haben es versäumt, rechtzeitig gegenzusteuern", bedauert Elizabeth Anna Wirth. "Allmählich findet nun ein Gegensteuern statt, auch wenn es unserer Ansicht nach deutlich schneller gehen könnte. Und müsste, denn durch den Trend zu Bestattungsformen fernab des Friedhofs steht eine unserer größten zivilisatorischen Errungenschaften auf dem Spiel."
Um Friedhöfe zu erhalten, braucht es ihrer Einschätzung nach Zweierlei. Zum einen die Anerkennung der wertschöpfenden Wirkung des Friedhofs - als grüne Lunge der Stadt, sozialer Treffpunkt und kaum zu überschätzender Integrationsort. "Darüber hinaus muss aber auch endlich dem Wunsch nach mehr Individualismus Rechnung getragen werden. Dass es heute noch Diskussionen um die Wahl der Grabbepflanzung, Kuscheltiere und Engelsfiguren auf Grabstellen oder um die Berechtigung von Fötengrabfeldern gibt, ist schlicht nicht mehr zeitgemäß!" Eines steht für Elizabeth Anna Wirth bei aller Zähigkeit des Fortschrittsprozesses fest: Der Wandel, er muss und er wird kommen. "Dann bis später auf dem Friedhof" - wenn sich Menschen wieder gezielt auf dem Friedhof treffen (und zwar wohlgemerkt zu Lebzeiten), sei es zum Plaudern, zum Gedenken oder zum Erholen, dann ist die Vision des VFFK wahr geworden.Im Kommen: Gräber mit Biotopcharakter
Akkurat geschnittene Einfassungshecken, dazwischen schnurgerade Reihen Stiefmütterchen und Eisbegonien - so sieht längst nicht mehr jedes Grab aus. Die Bandbreite reicht von eher formalen, aber abwechslungsreichen Saisonbepflanzungen über naturnahe Gestaltungsansätze, bei denen auch Stauden, Gehölze, knorrige Wurzelstücke oder eine Wasserstelle für Vögel eingebunden werden, bis hin zum Birnbäumchen à la "Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland".
"Und der Friedhof an sich bietet ohnehin zahlreichen Insekten, Vögeln und Säugetieren Zuflucht und Nahrung, etwa mit den vielen blühenden und fruchtenden Sträuchern, wiesenartigen Flächen und seinem oft sehr alten, abwechslungsreichen Baumbestand", berichtet Elizabeth Anna Wirth, die stellvertretende Vorsitzende des Vereins zur Förderung der deutschen Friedhofskultur e.V. "Wer ein Stückchen Natur mitten in der Stadt sucht und gerne Tiere beobachtet, ist hier genau richtig."
Friedhöfe als lebendiges Kulturgut erhalten
Der Verein zur Förderung der deutschen Friedhofskultur e.V. möchte Friedhöfe als sozial, kulturell und ökologisch wertvolle Orte im Bewusstsein der Gesellschaft verankern. Er engagiert sich für den Erhalt historischer Friedhöfe ebenso wie für die aktive Kulturpflege und für den Dialog der Religionen. Zu diesem Zweck steht der Verein in ständigem Kontakt und Austausch mit Kommunen und Verbänden sowie mit Vertreterinnen und Vertretern von Religionen und Religionsgemeinschaften. Für einen Jahresbeitrag von 60 Euro informiert der VFFK seine Mitglieder regelmäßig über aktuelle Kampagnen, Termine sowie Print- und Onlinepublikationen. Zudem stellt er ihnen Poster, Druckvorlagen und Displaybanner zu aktuellen Kampagnen zum Selbstkostenpreis zur Verfügung.
Verein zur Förderung der deutschen Friedhofskultur e. V.
Der Verein zur Förderung der deutschen Friedhofskultur e.V. möchte Friedhöfe als sozial, kulturell und ökologisch wertvolle Orte im Bewusstsein der Gesellschaft verankern. Er setzt sich für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Friedhöfe ebenso ein wie für die aktive Kulturpflege und für den Dialog der Religionen. Zu diesem Zweck steht der Verein in ständigem Kontakt und Austausch mit Kommunen und Verbänden sowie mit Vertretern und Vertreterinnen von Religionen und Religionsgemeinschaften.
Kontakt: Verein zur Förderung der deutschen Friedhofskultur e. V.
Vorsitzender: Andreas Mäsing,
Robert-Koch-Straße 33, 46325 Borken
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